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Auch wenn die Produktbeobachtung von (Non-Food-)Produkten gerne vernachlässigt wird, weil sie nach dem Inverkehrbringen stattfindet und damit „gefühlt“ schon nicht mehr in der Sphäre der Wirtschaftsakteure bzw. Hersteller liegt, muss sie ein ganz wichtiges Instrument in der Unternehmenspraxis sein. Was insoweit zu beachten ist und welche Haftungsrisiken drohen, wenn sie nicht ernst genommen wird, erläutert Rechtsanwalt Dr. Carsten Schucht aus dem Berliner Büro der Produktkanzlei in unserem IBF-Interview.
Herr Dr. Schucht, vermehrt hören wir in unseren Seminaren Fragen zu den sogenannten "Nachmarktpflichten". Was sind denn überhaupt Nachmarktpflichten?
Dr. Carsten Schucht: In der Juristerei wird mit Blick auf die Pflichten der Wirtschaftsakteure tatsächlich seit Langem zwischen dem Vormarkt einerseits und dem Nachmarkt andererseits unterschieden: Die Trennlinie wird dabei durch das Inverkehrbringen (beim Hersteller und Einführer) bzw. die Bereitstellung auf dem Markt (beim Händler) gezogen. Davor zu erfüllende Pflichten rechnen zum Vormarkt. Entsprechend bezieht sich der Nachmarkt auf die danach zu erfüllenden Pflichten. Wichtig sind für die Wirtschaftsakteure beide Bereiche.
Fordert die neue Maschinenverordnung (EU) 2023/1230 nun auch explizit, dass Hersteller ihren Produktbeobachtungspflichten nachkommen?
Dr. Carsten Schucht: Ja, diese Forderung wird dort statuiert. Geregelt werden diese spezifischen Nachmarktpflichten in Art. 10 Abs. 4 Unterabs. 2 VO (EU) 2023/1230 für die vollständigen Maschinen. Dabei ist freilich zu beachten, dass diese öffentlich-rechtlichen Pflichten nur das abrunden, was die Rechtsordnung in anderen produktrechtlichen Bereichen seit Langem insbesondere von den Warenherstellern verlangt.
Aus welchen Bereichen konkret?
Dr. Carsten Schucht: Zentrale Bedeutung kommt insoweit dem Zivilrecht zu: Danach gibt es teilweise bis ins Detail ausbuchstabierte Produktbeobachtungspflichten insbesondere der Warenhersteller. In Deutschland sind diese Produktbeobachtungspflichten in § 823 Abs. 1 BGB verankert, der sog. Produzentenhaftung, die ausdrücklich neben der europäisch determinierten Produkthaftung im Produkthaftungsgesetz (ProdHaftfG) steht.
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Stichwort Zivilrecht: Worauf sollten Hersteller von technischen Produkten (z.B. Maschinen) aus zivilrechtlicher Sicht besonders achten?
Dr. Carsten Schucht: Zunächst sollte sich jeder Hersteller darüber im Klaren sein, dass im Zivilrecht ein strengerer Maßstab als im öffentlichen Recht herrscht. Vereinfacht gesagt geht es im Zivilrecht um den besonders dynamischen Stand von Wissenschaft und Technik, während das öffentliche Recht nur auf den Stand der Technik abstellt.
Konkret heißt das, dass ein Hersteller sich zum einen mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung auseinandersetzen sollte. Denn die Reichweite der Produktbeobachtungspflichten ergibt sich leider nicht aus dem Gesetz. Zum anderen muss er antizipieren, wie die höchstrichterliche Rechtsprechung dort aussehen wird, wo es noch keine Entscheidungen gibt. Solche Lücken gibt es etwa derzeit noch im Bereich der „Produktbeobachtung in der Digitalisierung“. Es ist also alles andere als klar, was die Rechtsprechung von einem Maschinenhersteller etwa im Bereich des Social Media Screenings oder in Bezug auf von sog. smart products generierten Daten erwartet.
Spielt Produktbeobachtung auch im Strafrecht eine Rolle?
Dr. Carsten Schucht: Ja, allerdings mehr im Bereich der Gefahrabwendung und weniger bei der Produktbeobachtung. Denn wenn im Rahmen der Produktbeobachtung rechtlich relevante Gefahren festgestellt werden, dann wandelt sich die Produktbeobachtungspflicht in eine sog. Gefahrabwendungspflicht um. Ziel muss dann die effektive Beseitigung der im Feld bestehenden Produktgefahren sein, und zwar unverzüglich! Wenn dann gleichwohl ein notwendiger Rückruf unterlassen wird, eine ausreichende Sicherheitswarnung nicht ausgesprochen wird oder die betreffende Feldaktion schlicht unzureichend ist, dann kann das Strafrecht für die verantwortlichen Personen bedrohlich nahe rücken!
Man hört öfter die Unterscheidung zwischen "aktiver" und "passiver" Produktbeobachtung. Was ist hier der Unterschied?
Dr. Carsten Schucht: Diese Unterscheidung ist tatsächlich wichtig: Während der tatsächliche Hersteller seine Produkte nach dem Inverkehrbringen aktiv und passiv beobachten muss, steht beim Quasi-Hersteller, Importeur und (Vertriebs-)Händler die passive Produktbeobachtungspflicht im Fokus.
Aktiv bedeutet – wenig überraschend-, sich selbst um relevante Informationen in Bezug auf das Produkt zu kümmern. Beispielhaft schickt der Hersteller die verantwortlichen Personen zu Fachkongressen oder gibt ihnen auf, sich mit der aktuellen Fachliteratur zu befassen. Außerdem gehört zur aktiven Produktbeobachtung auch die Auseinandersetzung mit Konkurrenzprodukten: Gibt es insoweit sicherheitsrelevante Aspekte, welche der Wettbewerb anders, ggf. sogar besser in den Griff bekommt?
Demgegenüber reicht es bei der passiven Produktbeobachtung aus, insbesondere einlaufende Reklamationen entgegenzunehmen. Gerade beim Händler genügt es, diese schlicht an die zuständige Stelle, das ist regelmäßig der Hersteller oder Einführer, weiterzuleiten und um entsprechende „Regieanweisungen“ von dort zu bitten. Dann liegt es am Hersteller, nach Prüfung der Reklamation den Händler über das weitere Vorgehen auf dem Laufenden zu halten. Eine mögliche Ansage wäre dann etwa ein sofortiger Vertriebsstopp. Dem sollte der Händler dann natürlich nachkommen.
Welche Methoden verwenden Unternehmen zur Überwachung der Sicherheit von Produkten (z.B. Maschinen oder Elektrogeräte) nach ihrer Markteinführung?
Dr. Carsten Schucht: Häufig ist dies inzwischen eine Kombination zwischen hergebrachten Methoden der aktiven und passiven Produktbeobachtung und der Befassung mit den Social Media. Bei smarten Produkten kann darüber hinaus eine Vielzahl von relevanten Daten generiert werden, die sich ebenfalls für die Zwecke der Produktbeobachtung nutzbar machen lassen.
Sollten auch Feedback von Kunden und Feldberichte in den Prozess der Produktbeobachtung integriert werden?
Dr. Carsten Schucht: Unbedingt! Solche Informationen sind elementarer Bestandteil der passiven Produktbeobachtungspflicht! Die Entgegennahme solcher Informationen kann zudem von jedem Wirtschaftsakteur erwartet werden. Je nach konkreter Rolle kann er es dann dabei bewenden lassen, die Informationen nur an die zuständige Stelle weiterzuleiten (Händler), oder muss sie selbst eingehend analysieren (Hersteller).
Was ist zu tun, wenn durch die (aktive oder passive) Produktbeobachtung festgestellt wird, dass Produkte mit schwerwiegenden Mängeln (z.B. sicherheitskritischen Problemen) im Feld sind?
Dr. Carsten Schucht: Diese Frage gehört zu den schwierigsten im geltenden Produktrecht. Und sie bildet deshalb häufig den Beginn der Mandatierung produktrechtlich spezialisierter Rechtsanwaltskanzleien. Grob gesagt muss der Sachverhalt technisch sauber aufgeklärt werden. Dazu rechnet insbesondere auch eine ordnungsgemäße Risikobewertung. Abschließend folgt die juristische Bewertung. Bei schwerwiegenden Mängeln wird es typischerweise zu einer Feldaktion kommen, d.h. zumeist entweder einem Rückruf oder einer Sicherheitswarnung.
Dabei gibt es EU-weit eine klare Tendenz in Richtung Sicherheitswarnung im B2B-Bereich, während bei Verbraucherprodukten auch ein Rückruf geboten sein kann.
Vielen Dank für das Interview!
Hinweis: Details zum ebenfalls sehr spannenden Thema Rückruf behandeln wir in einem gesonderten Interview.
Verfasst am: 02.09.2024
Dr. Carsten Schucht Rechtsanwalt Dr. Carsten Schucht ist Gründungspartner der Produktkanzlei in Augsburg und spezialisiert auf die Beratung in den Bereichen des Produktsicherheits-, Produkthaftungs- und Arbeitsschutzrechts.
E-Mail: schucht@produktkanzlei.com | www.produktkanzlei.com
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