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Entscheidungen von Konstrukteuren sind wesentlich für die Sicherheit von Maschinen. Dieser Fachartikel erläutert die wichtigsten gesetzlichen Anforderungen im Produktentstehungsprozess und gibt praxisnahe Hinweise zur Umsetzung sicherheitstechnischer Maßnahmen. Das wichtige Thema der abteilungsübergreifenden Zusammenarbeit kommt dabei auch nicht zu kurz.
Hinweis: Der Fachbeitrag ist unter demselben Titel und mit minimal geänderten Inhalten in der Fachzeitschrift "Der Konstrukteur" (Ausgabe 04/2025, Special Safety & Security) erschienen.
Zu den essenziellen Aufgaben im sicherheitstechnischen Planungsprozess gehört die gesetzeskonforme Durchführung und Dokumentation der Risikobeurteilung. Die gesetzlich vorgeschriebene Risikobeurteilung identifiziert Gefährdungen an Maschinen und bewertet Risiken, um entsprechende Schutzmaßnahmen abzuleiten. Die hier wichtigste Bestimmung, die EG-Maschinenrichtlinie 2006/42/EG, definiert das Vorgehen bei der Risikobeurteilung. Für Personen, die direkt an der Konstruktion von Maschinen und Anlagen beteiligt sind, ist insbesondere das Ermitteln von (guten) sicherheitstechnischen Lösungen, sprich die Risikominderung relevant. Damit die Lösungsfindung systematisch und effizient erfolgen kann, müssen Konstrukteure
Auch die neue Maschinenverordnung (EU) 2023/1230 betont die Bedeutung einer umfassenden und frühzeitigen Risikobeurteilung. Ab dem 20. Januar 2027 wird sie verpflichtend anzuwenden sein. Die Risikobeurteilung sollte bereits in der Konzeptionsphase erfolgen und berücksichtigt nun verstärkt neue technologische Entwicklungen, insbesondere den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) und Aspekte der Security der Maschine. Die Maschinenverordnung fordert darüber hinaus, dass Software-Updates und nachträgliche Funktionserweiterungen in der Risikobeurteilung berücksichtigt werden müssen. Dies ist besonders für Unternehmen wichtig, die Maschinen mit digitalen Steuerungssystemen und adaptiven Algorithmen entwickeln.
Zeitpunkt der Risikobeurteilung
Nicht selten erfolgen Risikobeurteilungen dann, wenn eine Maschine oder Anlage bereits gebaut ist. Dieses Vorgehen ist – trotz seiner häufigen Verbreitung in der Praxis – nicht im Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben: Die Maschinenrichtlinie schreibt in ihren allgemeinen Grundsätzen, dass eine Risikobeurteilung durchgeführt werden muss und die Maschine oder Anlage erst "dann unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Risikobeurteilung konstruiert und gebaut werden" darf.
Insbesondere für Personen, die in die Konzeption und Konstruktion involviert sind, ist Abschnitt 1.1.2. b) aus Anhang I der Maschinenrichtlinie (bzw. Anhang III der Maschinenverordnung) essenziell: Aus den Rechtsakten geht hervor, dass sich sicherheitstechnische Maßnahmen in Kategorien unterteilen lassen und dass die Reihenfolge, in der Maßnahmen aus unterschiedlichen Kategorien angewendet werden, gesetzlich vorgegeben ist. Nicht im Einklang mit der Richtlinie ist es also beispielsweise in einer Betriebsanleitung auf Restgefährdungen hinzuweisen, welche auch durch wirtschaftlich vertretbare konstruktive Maßnahmen beseitigbar sind.
Analog fordert ebenso die harmonisierte europäische Norm EN ISO 12100[1] ein dreistufiges Konzept zur Risikominderung, wie der Tabelle zu entnehmen ist. Für die Vorgehensweise während der Konstruktion bedeutet dies: Es ist Pflicht, dass mit Risikobeurteilungen in Projekten frühzeitig begonnen wird. Optimalerweise bereits während der Konzeptionsphase. Dadurch kann gewährleistet werden, dass sich die Ergebnisse der Risikobewertung in den tatsächlichen Konstruktionen wiederfindet.
Rechtliche und normative Anforderungen zur Auswahl von sicherheitstechnischen Maßnahmen
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Weitere Informationen
Urteil nach schwerer Handverletzung
Dass es sich beim dreistufigen Konzept der Risikominderung nicht um reine Theorie handelt, zeigt ein Urteil des schweizerischen Bundesverwaltungsgerichts (Urteil C-5864/2009). Es ging darin um folgenden Sachverhalt: An einem Kreissägeautomaten kam es zu einer schweren Handverletzung, da nachlaufende Teile der Maschine nach dem Ausschalten erreichbar waren. Der Maschinenhersteller argumentierte, dass der Unfall nicht geschehen wäre, wenn sich der Bediener an die Angaben in der Betriebsanleitung gehalten hätte.
Das Gericht entschied jedoch, dass die Maschine nicht den Anforderungen der Maschinenrichtlinie entsprach. In der Urteilsbegründung wird ausgeführt: „Demnach sind spezielle Warnhinweise in der Bedienungsanleitung oder Instruktionen der Benutzer als Sicherheitsvorkehrung nur dann hinreichend, wenn andere Schutzmaßnahmen nicht möglich sind oder diese zu unverhältnismäßigen Beeinträchtigungen bei der Benutzung der Maschine führen würden.“
Hinweis: Details zum Urteil sowie eine tiefgreifendere Analyse der juristischen Pflichten im Produktentstehungsprozess finden Sie in unserem Fachbeitrag Sicherheit von Maschinen - Konstrukteure in der Pflicht!
Risiken frühzeitig konstruktiv lösen und Kosten optimieren
Verspätete Risikobeurteilungen führen zu hohen Kosten durch Umbauten und zu rechtlichen Risiken. Je früher im Projektverlauf das Thema Sicherheit in Form von Gefährdungen und Risiken behandelt wird, desto größer ist die Beeinflussbarkeit durch die ausführenden Personen, wie etwa Konstrukteure. Beispielsweise lassen sich bestimmte Risiken durch deren frühzeitige Behandlung konstruktiv, also im besten Fall ohne Mehrkosten lösen. Erst später erkannte Gefährdungen müssten entweder durch gegebenenfalls teure Schutzeinrichtungen (zum Beispiel Lichtvorhänge) abgesichert werden (wobei hier zu prüfen ist, ob dann immer noch das dreistufige Prinzip eingehalten ist), oder durch konstruktive Anpassungen – was sich in Personalkosten entsprechend niederschlägt.
Vor dem Bau von Maschinen oder Anlagen erfolgt die Risikobeurteilung
a) Inhärent sichere Konstruktion (Stufe 1)
Was müssen Konstrukteure nun tun, um sichere Maschinen und Anlagen entsprechend dem dreistufigen Konzept zu bauen? Konstrukteure sollen gemäß EN ISO 12100 Abschnitt 6.2 bereits bei der Gestaltung Gefahren vermeiden. Dazu zählen unter anderem die Vermeidung von Quetsch- und Scherstellen, die Begrenzung von Kräften und Emissionen sowie eine ergonomische Gestaltung, die Auswahl geeigneter Technologien und Wartungsfreundlichkeit.
b) Unterstützung durch Normen
Bei der Umsetzung helfen technische Normen. Sogenannte C-Normen (produktspezifische Normen) unterstützen beispielsweise durch konkrete Lösungsvorschläge oder verweisen auf allgemeine sicherheitstechnische Normen (B-Normen), zum Beispiel für maximale Kräfte, Oberflächentemperaturen, Abstände et cetera. Bei der Normenauswahl sind insbesondere die zwei folgenden Fragen zu prüfen.
Die CE-Software Safexpert von IBF Solutions (siehe Infokasten) unterstützt neben zahlreichen Funktionen rund um die Risikobeurteilung und CE-Dokumentation insbesondere bei der Aktualitätsüberwachung von Normen auf Ebene einzelner sicherheitstechnischer Maßnahmen.
c) Technische und ergänzende Schutzmaßnahmen (Stufe 2)
Lassen sich Gefährdungen nicht durch inhärent sichere Konstruktionen beseitigen oder absichern, kommen technische Schutzmaßnahmen zum Einsatz. Beispiele hierfür sind
Für das oben zitierte Urteil des Kreissägeautomaten wäre eine verriegelte trennende Schutzeinrichtung mit Zuhaltung eine mögliche Lösung gewesen, mit der es wohl nicht zum Unfall und somit auch zu keinem Schuldspruch gekommen wäre. Zusätzlich zu den trennenden Schutzeinrichtungen sind auch nichttrennende Schutzeinrichtungen wie etwa berührungslos wirkende Schutzeinrichtungen (BWS) oder Zweihandschaltungen Beispiele für Maßnahmen der Stufe 2.
Durch das Zusammenwirken von mechanischen Konstruktionen (zum Beispiel Schutztür) und steuerungstechnischer Überwachung ergibt sich eine wichtige Schnittstelle zwischen unterschiedlichen Disziplinen: Je nach Risikoeinschätzung ergeben sich Anforderungen an die Sicherheitsfunktion. Diese definieren die Zuverlässigkeit der Wirkkette vom Sensor bis zum Aktor. Diese in der Risikobeurteilung ermittelte Anforderung wird Steuerungsbauern beispielsweise als „required Performance Levels“ (PLr) für die Auslegung der Sicherheitsfunktion (zum Beispiel entsprechend EN ISO 13849-1) zur Verfügung gestellt. Als ergänzende Schutzmaßnahmen nennt die EN ISO 12100 beispielsweise Not-Halt-Einrichtungen, welche gegebenenfalls zusätzlich an Maschinen angebracht werden müssen.
d) Risikominderung durch Benutzerinformation (Stufe 3)
Benutzerinformationen dienen dazu, die Erkennbarkeit von nicht vermeidbaren Gefährdungen zu erhöhen. Im Zuge der Risikobeurteilung wird entschieden, welcher Informationskanal genutzt wird. Die Kommunikation mit den Anwendern kann über unterschiedliche Kanäle erfolgen, wie etwa
Eine zentrale Schnittstelle besteht zwischen Konstruktion und technischer Redaktion: Frühzeitig dokumentierte Restgefährdungen können später in der Betriebsanleitung ausgearbeitet werden. Dies spart Rechercheaufwand und sichert die Vollständigkeit. Auch optische und akustische Signale können genutzt werden – dabei mahnt die EN ISO 12100 zur Vermeidung von Reizüberflutung.
Ein wesentlicher Unterschied in der neuen Maschinenverordnung ist die Möglichkeit, Betriebsanleitungen nun in digitaler Form bereitzustellen. Dies kann deutliche Vorteile hinsichtlich der Aktualisierbarkeit und der Bereitstellung relevanter sicherheitstechnischer Informationen bieten. Allerdings muss dabei Folgendes sichergestellt werden:
Fazit
Viele Personen tragen ihren Anteil dazu bei, dass Maschinen und Anlagen den sicherheitstechnischen Anforderungen genügen. Eine sehr wichtige Rolle kommt hierbei Konstrukteuren zu. Durch die Risikobeurteilungen wird frühzeitig ermittelt, welche Gefährdungen und Risiken von der zu entwickelnden Maschine oder Anlage ausgehen.
Im Zuge der frühzeitigen Durchführung des gesetzlich geforderten Prozesses der Risikobeurteilung und insbesondere des dreistufigen Konzepts der Lösungsauswahl entstehen Maschinen und Anlagen auf sicherheitstechnisch hohem Niveau – mit dem Nebeneffekt, dass Aufwände für umfangreiche Re-Designs oder Kosten für teures Sicherheitsequipment gespart werden.
Verfasst am: 23.06.2025
Daniel Magnus, BSc Marketingleiter bei IBF. Studium der Wirtschaftswissenschaften an der SoWi Innsbruck. Über 10 Jahre Erfahrung im B2B Bereich, mit dem Schwerpunkt Maschinen-/ und Fahrzeugbau, Elektronikentwicklung/ -Produktion und Softwareentwicklung.
E-Mail: daniel.magnus@ibf-solutions.com | www.ibf-solutions.com
Johannes Windeler-Frick, MSc ETH Geschäftsführer der IBF Solutions. Fachreferent CE-Kennzeichnung und Safexpert. Vorträge, Podcasts und Publikationen zu unterschiedlichen CE-Themen, insbesondere CE-Organisation und effizientes CE-Management. Leitung der Weiterentwicklung des Softwaresystems Safexpert. Studium der Elektrotechnik an der ETH Zürich (MSc) im Schwerpunkt Energietechnik sowie Vertiefung im Bereich von Werkzeugmaschinen.
E-Mail: johannes.windeler-frick@ibf-solutions.com | www.ibf-solutions.com
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