Fachbeitrag

Sachverständige in CE- und Produktsicherheits-Prozessen: „Wer zuviel sagt, der fliegt raus“

Warum ein Gutachter in einem Maschinen-Sachmängelprozess nicht auf fehlende CE-Kennzeichnung, EG-Konformitätserklärung und deutsche Betriebsanleitung hinweisen darf

Worum geht es?

  • Ablehnung eines Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit
  • Prozessparteien herrschen über den Prozessstoff (Grundsatz der Parteiherrschaft)
  • Gerichtsgutachter dürfen sich nur zu den „streitigen Tatsachen“ äußern und nicht über das Beweisthema hinausgehen (Verbot der Auftragsüberschreitung)
  • Wenn Beweisthema „materielle“ technische Gerätemängel und Bedienfehler sind, ist die Verletzung formeller Pflichten gemäß EG-Maschinenrichtlinie nicht relevant
  • Misstrauen gegen die Unparteilichkeit bei Hinweis auf fehlende Dokumente gemäß EG-Maschinenrichtlinie, wenn deren Fehlen bisher nicht gerügt war

 

Sachverhalt

In einem zivilrechtlichen Gewährleistungsprozess zu Sachmängeln eines 3D-Druckers ist zwischen Käufer und Verkäufer streitig, ob das Gerät bereits bei Gefahrübergang mangelhaft war oder es fehlerhaft bedient wurde. Der zur Klärung dieser Frage beauftragte Sachverständige Dr. S. teilte dem Gericht mit, dass der Drucker entgegen den Bestimmungen der europäischen Maschinenrichtlinie 2006/42/EG eine Bedienungsanleitung in englischer statt in deutscher Sprache hatte und „aus der Akte nicht hervorgeht, ob die zwingend vorgeschriebene EG-Konformitätserklärung vorliegt und ob das CE-Kennzeichen deutlich sichtbar angebracht ist“. Dr. S schlug vor, den Beweisbeschluss dahin zu ergänzen, ob „die Forderungen der 9. ProdSV mit der Übergabe der Maschine durch den Lieferanten berücksichtigt und eingehalten“ waren. 

 

Beschlüsse

Die Verkäuferin lehnte Dr. S wegen Besorgnis der Befangenheit gemäß § 406 i.V.m. § 42 ZPO ab, aber das Landgericht Dessau wies das zurück1: „Der Sachverständige ist grundsätzlich verpflichtet, einen Sachverhalt aus seiner fachkundigen Sicht umfassend zu prüfen und entsprechende fachlich begründete Hinweise zur klaren Abfassung des Beweisthemas zu geben“. Hier sind „Gegenstand der Begutachtung Feststellungen dazu, ob die von der Käuferin gerügten Beanstandungen auf technischen Fehlern der Maschine beruhen oder auf Bedienungs- und Wartungsfehler zurückzuführen sind. Dazu gehört dann auch die Feststellung, ob der Käuferin eine deutsche Bedienungsanleitung zur Verfügung stand“.

Das Oberlandesgericht Naumburg hebt den Beschluss des LG Dessau auf2 – und sagt zunächst grundsätzlich: „Für eine Ablehnung wegen der Besorgnis der Befangenheit kommt es nicht darauf an, ob der Sachverständige tatsächlich parteiisch ist oder sich selbst für befangen hält oder ob das Gericht Zweifel an seiner Unparteilichkeit hegt. Es genügt vielmehr, dass hinreichende Gründe vorliegen, die in den Augen einer vernünftigen Partei geeignet sind, Zweifel an der Unparteilichkeit des Sachverständigen zu wecken“.

Hier „ist eine Besorgnis der Befangenheit gegenüber dem Sachverständigen Dr. S. gerechtfertigt“ wegen des „Anscheins nicht vollständiger Unvoreingenommenheit“. Mit seiner Anregung der Ergänzung des Beweisbeschlusses hat er sich „aus Sicht der Verkäuferin zum Anwalt der Käuferin gemacht. Nach dem Inhalt des Beweisbeschlusses war aber bis zu dieser Anregung zwischen den Parteien nicht im Streit, ob die Verkäuferin bei der Lieferung des Druckers insoweit eine Pflichtverletzung begangen haben könnte. Vielmehr ist nach dem Inhalt des Beweisbeschlusses bisher allein streitig, ob bei der Übergabe des Druckers ein Anfangsmangel vorlag oder ob Mängel erst durch Bedienfehler der Käuferin hervorgerufen worden sind“. Die Anregung betraf „eine bis dato von der Käuferin offensichtlich nicht behauptete Pflichtverletzung der Verkäuferin. Dr. S hat damit im Ergebnis angeregt, die Käuferin könnte einen möglichen Bedienfehler auf das Fehlen einer deutschsprachigen Bedienungsanleitung stützen. Beweis ist durch das Gericht stets aber nur unter Beachtung der Darlegungs- und Beweislast über strittige Tatsachenbehauptungen der Parteien zu erheben, soweit es auf sie streitentscheidend ankommt. Dem Gericht obliegt zwar gemäß § 139 ZPO auch eine Erörterungs- und Fragepflicht. Diese wird aber durch das jederzeit zu beachtende Prinzip der Herrschaft der Parteien über den Prozessstoff beschränkt. Ein Sachverständiger darf ebenso wenig wie ein Richter darauf hinwirken, dass eine Partei ihr Prozessziel auf einen anderen Tatsachenvortrag stützt“.

Das OLG endet sprachlich sehr elegant: Was Herr Dr. S angeregt hat, ist „keine fachlich begründete Anregung zur luzideren Formulierung3 eines streitigen Beweisthemas“, sondern „verletzt die gebotene Äquidistanz zu den Parteien4 ".

 

Kommentare

1. Der Bundesgerichtshof fasst zusammen: „Die Befürchtung fehlender Unparteilichkeit kann berechtigt sein, wenn der Sachverständige den Gutachterauftrag in einer Weise erledigt, dass sie als Ausdruck einer unsachlichen Grundhaltung gegenüber einer Partei gedeutet werden kann. Eine solche unsachliche Grundhaltung kann sich daraus ergeben, dass der Gutachter Maßnahmen ergreift, die von seinem Gutachterauftrag nicht gedeckt sind. So ist die Besorgnis einer Befangenheit des Sachverständigen aus der Sicht einer Partei als gerechtfertigt gewertet worden, wenn dieser in seinem die Grenzen seines Auftrags überschreitenden Gutachten den Prozessbeteiligten den von ihm für richtig gehaltenen Weg zur Entscheidung des Rechtsstreits aufgezeigt hat5 “ . Dr. S hat die Käuferin darauf gestoßen, schon allein das Fehlen einer deutschsprachigen Betriebsanleitung als Mangel rügen zu können.

2. Dass eine fehlende Betriebsanleitung ein Sachmangel ist, regelt übrigens seit 1. Januar 2022 der neue § 434 Abs. 3 Nr. 4 BGB so: „Soweit nicht wirksam etwas anderes vereinbart wurde, entspricht die Sache den objektiven Anforderungen, wenn sie mit dem Zubehör einschließlich der Verpackung, der Montage- oder Installationsanleitung sowie anderen Anleitungen übergeben wird, deren Erhalt der Käufer erwarten kann“. Und bei Maschinen kann man in Deutschland deutsche Betriebsanleitungen erwarten, weil sie gemäß Art. 5 Abs. 1 c) i.V.m. Anhang I Nr. 1.7.4 der Maschinenrichtlinie Pflicht sind.

3. Wenn Beweisthema war, ob „Mängel durch eine fehlerhafte Bedienung hervorgerufen“ wurden, kann auch die Verständlichkeit und damit die Sprache einer Betriebsanleitung relevant sein6. Der Sachverständige hätte also nicht die Ergänzung des Beweisbeschlusses anregen sollen, sondern einfach diese Frage prüfen und das Ergebnis hierzu mitteilen können7.

4. Das LG Dessau ergänzte noch, bei den Folgen einer eventuell fehlenden Konformitätserklärung und CE-Kennzeichnung „handelt es sich nicht um entscheidungserhebliche Tatsachen“. Das hält das LG Erfurt für unzutreffend und hielt einen Radlader ohne CE und Konformitätserklärung für mangelhaft, weil er „keine gültige Betriebserlaubnis besitzt, weil nicht alle Voraussetzungen der Maschinenrichtlinie erfüllt sind8 “ . Wenn das Gericht dem folgt und allein deshalb den Drucker für mangelhaft hielte, müsste es die Prozessparteien gemäß § 139 Abs. 2 ZPO darauf hinweisen. Das OLG Düsseldorf meint dagegen: Das Fehlen einer CE-Kennzeichnung ist selbst kein Mangel9.


Fußnoten:
1 LG Dessau-Roßlau, Beschluss v. 18.10.2013 (Az. 3 O 40/13).

2 OLG Naumburg, Beschluss v. 28.11.2013 (Az. 10 W 66/13).
3Von lateinisch lucidus = „lichtvoll, hell“, also „klar und verständlich darstellen“.
4 Äquidistanz in der Politik bedeutet: „gleicher ideologischer Abstand zu anderen politischen Akteuren“.
5 BGH, Beschluss v. 11.04.2013 (Az. VII ZB 32/12).
6 Ausführlich Wilrich, Produktsicherheitsrecht und CE-Konformität – Hersteller-, Importeur- und Händler-Pflichten für Technik- und Verbraucherprodukte bei Risikobeurteilung, Konstruktion, Warnhinweisen und Vertrieb, 2021.
7 Zur Aufgaben und Verantwortlichkeiten von Dienstleitern und Prüfern siehe Wilrich, Technik-Verantwortung – Sicherheitspflichten der Ingenieure, Meister und Fachkräfte und Organisation und Aufsicht durch Management und Führungskräfte, 2022.
8 LG Erfurt, Urteil v. 07.08.2014 (Az. 10 O 410/12) – Fallbesprechung in Wilrich, Sicherheitstechnik und Maschinenunfälle vor Gericht – 40 Urteilsanalysen zu Produktsicherheit, Hersteller- und Konstruktionspflichten, Arbeitsschutz, Betreiber- und Organisationspflichten, 2022.
9 OLG Düsseldorf, Urteil v. 16.04.2020 (Az. 5 U 131/18) – zu einem Bauprodukt.

 

Anhang: Auschnitt aus der Zivilprozessordnung (ZPO)

§ 42 Ablehnung eines Richters
(1) Ein Richter kann sowohl in den Fällen, in denen er von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen ist, als auch wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden.

(2) Wegen Besorgnis der Befangenheit findet die Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen.

(3) Das Ablehnungsrecht steht in jedem Fall beiden Parteien zu.

§ 139 Materielle Prozessleitung
(1) Das Gericht hat das Sach- und Streitverhältnis, soweit erforderlich, mit den Parteien nach der tatsächlichen und rechtlichen Seite zu erörtern und Fragen zu stellen. Es hat dahin zu wirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über alle erheblichen Tatsachen erklären, insbesondere ungenügende Angaben zu den geltend gemachten Tatsachen ergänzen, die Beweismittel bezeichnen und die sachdienlichen Anträge stellen. …

(2) Auf einen Gesichtspunkt, den eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, darf das Gericht … seine Entscheidung nur stützen, wenn es darauf hingewiesen und Gelegenheit zur Äußerung dazu gegeben hat. …

§ 359 Inhalt des Beweisbeschlusses
Der Beweisbeschluss enthält: 1. die Bezeichnung der streitigen Tatsachen, über die der Beweis zu erheben ist; … …

§ 406 Ablehnung eines Sachverständigen
(1) Ein Sachverständiger kann aus denselben Gründen, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen, abgelehnt werden.


Verfasst am: 9.8.2022

Autor

Prof. Dr. Thomas Wilrich
Tätig rund um die Themen Produktsicherheit, Produkthaftung, Arbeitsschutz und Warenvertrieb einschließlich der entsprechenden Betriebsorganisation, Vertragsgestaltung, Schadensersatz- und Führungskräftehaftung, Versicherungsfragen und Strafverteidigung. Er ist an der Fakultät Wirtschaftsingenieurwesen der Hochschule München zuständig für Wirtschafts-, Arbeits-, Technik- und Unternehmensorganisationsrecht sowie „Recht für Ingenieure“.

E-Mail: info@rechtsanwalt-wilrich.de | www.rechtsanwalt-wilrich.de

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