Diese Urteilsbesprechung berichtet über zwei Klagen eines Arbeitnehmers, der sich an einer unsicheren Maschine verletzte – sowohl gegen die Maschinenherstellerin als auch gegen die Arbeitgeberin. Dabei werden besonders praxisrelevante Anforderungen an Schutzeinrichtungen und weitere technische und juristische Situationen diskutiert.
Anmerkung: Um die praxisrelevanz des Beitrags nicht unnötig einzuschränken, beziehen sich die abgeleiteten Empfehlungen auf die aktuell gültige Maschinenrichtlinie 2006/42/EG.
Der seit 1. Juni 2006 bei der Betreiberin B als Produktionsmitarbeiter beschäftigte Arbeitnehmer A erlitt am 3. Juli 2006 an einer nicht CE-gekennzeichneten Punktschweißmaschine[1] bei einem Arbeitsunfall schwerste Quetschverletzungen an beiden Händen als er ein verkantetes Metallstück entfernen wollte. Die Berufsgenossenschaft erkannte eine Minderung der Erwerbsfähigkeit bisher in Höhe von 60 % an.
Fussnote Kapitel "1. Sachverhalt": [1] Genauer heißt es: „Transformatoren-Kesselwand-Fertigungsanlage“.
A klagte gegen die „Herstellerin der Maschine“. Diese Beklagte hatte die Maschine im Jahr 2001 – also 5 Jahre vor dem Unfall – beim Arbeitgeber „aufgestellt“.
Der klagende A behauptete, „er habe mit beiden Händen die Metallwellenwand von vorne angestoßen, um sie wieder in die richtige Position zu bringen. Auf einmal – das sei nicht mal eine Sekunde nach seinem Anstoßen gewesen – sei die Maschine von oben runter gekommen und habe den Arbeitsgang fortgesetzt“.
Die Beklagte behauptete, die Maschine sei „mit Schutzzaun inkl. elektromechanisch verriegelbaren Zugangstüren ausgeliefert worden. Die CE-Konformitätserklärung sei zu diesem Zeitpunkt noch nicht ausgestellt gewesen, da die Betreiberin noch Änderungen an der Maschine hätte vornehmen wollen, um einen möglichst hohen Produktionsausstoß zu erreichen“. Der Kläger „könne nur durch Umgehung der Sicherheitstore in die Maschinenanlage gelangt sein. Er hätte nicht den ‚Automatikstoppschalter‘, sondern den ‚Notausschalter‘ bedienen müssen. Dies ergebe sich auch aus der Betriebsanleitung“.
Das Landgericht Siegen wies die Klage als unbegründet ab. „Der Kläger hat leider einen sehr bedauerlichen und äußerst tragischen Unfall erlitten, für den die Beklagte im Ergebnis jedoch nicht haftbar gemacht werden kann“. Das Gericht prüfte weder genau das Produkthaftungsgesetz (ProdHaftG) noch die allgemeine Schadensersatzvorschrift § 823 BGB, denn Ansprüche würden jedenfalls „an einem anspruchsausschließenden Mitverschulden des Klägers nach § 254 BGB scheitern“. Der Kläger habe „den Unfall so weit überwiegend mit verschuldet“, dass sogar sein Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Frage der sicherheitstechnischen Ausstattung der Maschine abgelehnt wurde. Die Klageabweisung stützt sich insbesondere auf eine Zeugenaussage eines Einweisers, der den später geschädigten Maschinenbediener eingeschult hatte. Aus seinen Aussagen leitet das Gericht ab, dass der Geschädigte den Unfall selbst verschuldet hat.
Es „steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger in die Bedienung der Maschine ordnungsgemäß durch den Zeugen eingewiesen worden ist“. Der Zeuge sagte „glaubhaft und überzeugend“:
Damit – so die Schlussfolgerung im Urteil –
Auszug aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) § 254 Mitverschulden (1) Hat bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden des Beschädigten mitgewirkt, so hängt die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist.
Der Kläger „hat damit die Entstehung des Unfalls im Sinne des § 254 BGB so weit überwiegend mit verursacht, dass dies zum Anspruchsausschluss führen muss“.[3]
Das Gericht prüfte dann gar nicht mehr „die Frage, ob die Maschine tatsächlich technisch fehlerhaft von der Beklagten in Verkehr gebracht worden ist“, ergänzte aber auch noch, die Maschine „dürfte“ im „streitgegenständlichen“, d.h. unfallauslösenden Bereich nicht technisch fehlerhaft gewesen sein. „Mängel der Maschine wegen fehlender Schutzgitter hat schon der Kläger im Rahmen seiner persönlichen Anhörung in der mündlichen Verhandlung im streitgegenständlichen Bereich nicht mehr behauptet. Womöglich fehlende Schutzgitter in einem anderen Bereich als demjenigen der streitgegenständlichen Schweißmaschine sind für die Unfallentstehung hier irrelevant“.
Fussnote Kapitel 2.3 "Urteil des Landesgerichts Siegen": [2] LG Siegen, Urteil v. 1.03.2010 (Az. 1 O 94/08). [3] Zu Selbstverantwortung und Mitverschulden siehe Wilrich, Sicherheitsverantwortung: Arbeitsschutzpflichten, Betriebsorganisation und Führungskräftehaftung – mit 25 erläuterten Gerichtsurteilen (2016).
Das Urteil verrät keine technischen Einzelheiten zu Art, Bau- und Funktionsweise der Maschine bzw. des Schutzgitters bzw. „Schutzzauns inkl. elektromechanisch verriegelbaren Zugangstüren“. Dennoch gibt der Fall Anlass zu folgenden Kritikpunkten und zu praxisrelevanten Empfehlungen:
Es ist unklar, wer der Hersteller der Schweißmaschine ist bzw. sein sollte. Die beklagte Verkäuferin argumentierte, die Maschine sei „noch nicht“ CE-gekennzeichnet, weil „die Betreiberin noch Änderungen an der Maschine hätte vornehmen wollen“. Sollte damit die Käuferin selbst Herstellerin werden? Diese für den Verantwortungsumfang der beteiligten Unternehmen wichtige Vorfrage prüfte das Gericht nicht.
Empfehlung: Insbesondere wenn ein Betreiber nach Abschluss der Installation durch den Hersteller noch Änderungen an der Maschine vornehmen will, sollten die Vertragsparteien die Herstellerverantwortung ausdrücklich regeln – oder zumindest bedenken. Werden solche Regelungen nicht getroffen (was in der Praxis sehr häufig vorkommt), ist die Rechtslage unklar – und das kann im Ernstfall zu überraschenden Verantwortungszuschreibungen durch Gerichte führen.
Nach den „Grundsätze für die Integration der Sicherheit“ in Nr. 1.1.2 a) des Anhangs I der EG-Maschinenrichtlinie ist eine „Maschine (…) so zu konstruieren und zu bauen, dass sie ihrer Funktion gerecht wird und unter den vorgesehenen Bedingungen — aber auch unter Berücksichtigung einer vernünftigerweise vorhersehbaren Fehlanwendung der Maschine — Betrieb, Einrichten und Wartung erfolgen kann, ohne dass Personen einer Gefährdung ausgesetzt sind“. Was der verletzte Arbeitnehmer getan hat, scheint eher nicht überraschend gewesen zu sein.[4]
Auszug aus der EG-Maschinenrichtlinie 2006/42 Anhang I Nr. 1.1.2 Grundsätze für die Integration der Sicherheit
b) Bei der Wahl der angemessensten Lösungen muss der Hersteller oder sein Bevollmächtigter folgende Grundsätze anwenden, und zwar in der angegebenen Reihenfolge:
Nr. 1.1.2 b) gibt dem Konstrukteur bei der Integration der Sicherheit eine Denk- und Lösungsreihenfolge im Sinne eines „Drei-Sprungs“ vor (siehe Kasten). Zwar gilt der Grundsatz „Konstruktion vor Instruktion“ nicht strikt: Für ein Garagentor hatte das OLG Frankfurt[5] angenommen, „die Produktsicherheit setzt hier nicht notwendig eine andere Gerätekonstruktion voraus. Der Gefährdung könnte grundsätzlich auch durch einen geeigneten Warnhinweis in der Gebrauchsanleitung begegnet werden“. Das ist indes eine Einzelfallentscheidung – wie übrigens jedes Gerichtsurteil. Ob es im Schweißmaschinen-Fall dagegen ausreichend ist, in der Betriebsanleitung darauf hinzuweisen, „nicht den ‚Automatikstoppschalter‘, sondern den ‚Notausschalter‘ zu bedienen“, erscheint hier zweifelhaft.
Empfehlung:
Ein Maschinenhersteller, der vom 3-stufigen Sicherheits-Konzept der Maschinenrichtlinie abweicht, muss (etwa nach einem Unfall) nachvollziehbar darlegen können, warum das gerade bei seiner Maschine gerechtfertigt gewesen sein soll – was zwar dem Hersteller des Garagentor gelungen ist, jedoch nicht verallgemeinert werden kann.
Der Hersteller der Schweißmaschine führt an, er habe „mit Schutzzaun inkl. elektromechanisch verriegelbaren Zugangstüren ausgeliefert“. Allerdings konnte A – oder ein anderer Mitarbeiter – scheinbar den Schutzzaun abnehmen oder leicht öffnen. Ob das der EG-Maschinenrichtlinie entspricht, ist zweifehlhaft:
Gefahren durch bewegliche Teile gehören zu den häufigsten Unfallursachen mit Maschinen. Fehlende, abmontierte oder manipulierte Schutzeinrichtungen sind häufig Anlass für zivilrechtliche Schadensersatzklagen oder strafrechtliche Ermittlungsverfahren. Konstrukteure sollten daher insbesondere Anhang I Nr. 1.3.7 ff. der Maschinenrichtlinie über „Risiken durch bewegliche Teile“ kennen und anwenden. Falls sich die Risiken nicht beseitigen lassen, definiert die Richtlinie konkrete Anforderungen an unterschiedliche Schutzeinrichtungen (feststehend, beweglich) sowie an deren Integration in die Steuerung (Verriegelung, Zuhaltung). Konstrukteure sollten hier besonders sensibel sein: Ob eine bestimmte Maßnahme „ausreichend sicher“ ist, kann je nach Maschine oder Gefahrensituation eine technisch anspruchsvolle Frage sein. Sind jedoch rechtlich klar definierte Anforderungen (z.B. die oben genannte Bestimmung zur Befestigung von Schutzeinrichtungen) nicht erfüllt, können sogar technische Laien (z.B. Rechtsanwälte, Staatsanwälte oder Richter) Sachverhalte beurteilen – was nur selten zum Vorteil von Herstellern ist.
Das Wesen einer NOT-HALT-Einrichtung ist es, „unmittelbare oder drohende Notsituationen abzuwenden“[6]. Ein Hinweis in einer Betriebsanleitung, dass bestimmte Tätigkeiten nur nach Betätigung der NOT-HALT-Einrichtung erlaubt sind, lässt sich nicht mit diesem Grundsatz von NOT-HALT-Einrichtungen verbinden. Die Maschinenrichtlinie unterscheidet in Anhang I Nr. 1.2.4 zwischen
Nur für ein Stillsetzen im Notfall sollten – wie der Name schon sagt – NOT-HALT Einrichtungen verwendet werden. Vorhersehbare Tätigkeiten, die ein Eingreifen in bestimmte Bereiche erfordern (wie z.B. im vorliegenden Fall das Entfernen von verkanteten Blechstücken) stellen eher keinen Notfall dar. Neben der generellen Frage, wann NOT-HALT-Einrichtungen zur Anwendung kommen regelt die EG-Maschinenrichtlinie auch die Subsidiarität des NOT-HALT:
Und die EN ISO 13850:2015[7] ergänzt in Nr. 4.1.1.3: „Die Not-Halt-Funktion ist eine ergänzende Schutzmaßnahme und darf nicht als Ersatz für Schutzmaßnahmen und andere Funktionen oder Sicherheitsfunktionen angewendet werden“[8].
Die Wirksamkeit von NOT-HALT-Einrichtungen wird häufig überschätzt. In der Risikobeurteilung müssen sich Konstrukteure überlegen, ob durch die getroffenen Maßnahmen das Restrisiko an einer Maschine auf ein akzeptables Maß reduziert wurde. Wird ein NOT-HALT (in Notsituationen) betätigt, geschieht dies (nur), um Schlimmeres (z.B. noch ernstere Personenschäden) zu verhindern. Eine hinreichende Risikominderung ist daher durch den NOT-HALT allein eher nicht erreicht.
Schließlich ist ein Verstoß gegen Anhang I Nr. 1.2.3 der Maschinenrichtlinie möglich: „Das Ingangsetzen einer Maschine darf nur durch absichtliches Betätigen einer hierfür vorgesehenen Befehlseinrichtung möglich sein“. Der Kläger hatte auch entsprechend argumentiert: „Die Maschine habe im ‚Automatikstoppmodus‘ nicht von selbst weiterarbeiten und seine Hände erfassen dürfen. Insofern seien der Einbau eines Sicherungsschalters sowie eines Schalters für den Wiederanlauf notwendig gewesen“. Die Maschine sei auch „nach dem Unfall mit entsprechenden Schaltern ausgerüstet worden“. Dieses Argument des späteren Nachrüstens dient klägerseits zumeist der Verdeutlichung der einfachen Umsetzbarkeit geeigneter Sicherheitsmaßnahmen, die den Unfall verhindert hätten. Das Gericht ging indes hierauf nicht ein – und wollte auch keinen Gutachter beauftragen.
Bewertung des Arguments der nachträglichen Verbesserung:
Das OLG Rostock hatte einmal argumentiert: „Das Organisationsverschulden der Beklagten ergibt sich auch daraus, dass nach dem Unfall einschlägige und spezielle Maßnahmen bezüglich der Arbeitssicherheit getroffen wurden“. Eine solche Aussage ist aber schlicht ein logischer Begründungsfehler: Dass jemand später etwas getan hatte, ist kein Nachweis eines Verschuldens. Es ist auch ein Rückschaufehler[9]: Nachher sind wir (und Gerichte) immer klüger. Gerade anders herum berücksichtigt das LG Saarbrücken zugunsten der wegen fahrlässiger Tötung verurteilten Geschäftsführer, sie „betreiben die GmbH und den Bau von Salzgrotten nach wie vor, allerdings haben sie ihr Konzept umgestellt“[10].
Schutzeinrichtungen, die zu einer Startfunktion führen, sind nicht verboten. In der oben zitierten Nr. 1.2.3 des Anhangs I der Maschinenrichtlinie steht auch: „Bei Maschinen, die im Automatikbetrieb arbeiten, darf das Ingangsetzen oder Wiederingangsetzen nach einer Abschaltung (...) ohne Bedienereingriff möglich sein, sofern dies nicht zu einer Gefährdungssituation führt.“ EN ISO 12100 nennt solche Schutzmaßnahmen „trennende Schutzeinrichtungen mit Startfunktion“ – und in Abschnitt 6.3.3.2.5 dieser technischen Norm ist angeführt, welches die notwendigen Voraussetzungen für diese Art des Ingangsetzens sind. Entscheidend für Hersteller ist, in der Risikobeurteilung zu ermitteln, ob ein automatischer Anlauf beim Schließen von Schutzeinrichtungen zu keinen Gefährdungssituationen führt. Nur dann dürfen diese verwendet werden. Insbesondere sollten dabei die unterschiedlichen Lebensphasen (also z.B. wie hier auch Eingriffe während des Betriebs) berücksichtigt werden.
Die beklagte Herstellerin hatte im Prozess vorgetragen, „dass nach dem Aufstellen der Maschine ihre Mitarbeiter wegen Wartungsarbeiten anderer Maschinen bei der Betreiberin gewesen seien und sie auf Mängel hinsichtlich der Sicherheitseinrichtung der Anlage hingewiesen hätten. Die Betreiberin habe diese Bedenken jedoch bei Seite geschoben“. Die Sicherheitsmängel waren der Herstellerin bekannt. Dann könnte man von ihr als Herstellerin einer nicht CE-gekennzeichneten Maschine mehr erwarten als bloße Hinweise auf die Unsicherheit. Sie könnte die Pflicht haben, den Betrieb zu untersagen – oder (kostenfreie) „Nachbesserung“ anzubieten. Bei einer unvollständigen Maschine verpflichtet Anhang II.1.B Nr. 6 der Maschinenrichtlinie in der Einbauerklärung zu einem „Hinweis, dass die unvollständige Maschine erst dann in Betrieb genommen werden darf, wenn festgestellt wurde, dass die Maschine, in die die unvollständige Maschine eingebaut werden soll, den Bestimmungen dieser Richtlinie entspricht“. Das OLG Düsseldorf verurteilte einen Technikleiter des Anlagenherstellers, der mit der Umstellung der Feuerungsmethode einer Flüssiggasanlage beschäftigt war, zu (persönlich von ihm zu leistenden[11]) Schadensersatz, weil er eine vertragliche Nebenpflicht nicht erfüllte: Er hätte den Betreiber auf eine – so das Gericht: aus einer Ministeriumsrichtlinie folgenden – Nachrüstungspflicht in Form einer zweiten Sicherheitsstufe „insbesondere anlässlich der Umrüstung im November 1990 hinweisen und eine solche Sicherung einbauen müssen. Er war derjenige, der die erforderliche Sachkunde besaß, und er hätte den Betreiber beraten müssen“[12].
Hersteller/Verkäufer müssen sich ihrer – nicht zu unterschätzenden und leider in im Umfang nicht klar prognostizierbaren – vertraglichen Nebenpflichten gemäß § 241 Abs. 2 BGB bewusst sein: „Das Schuldverhältnis kann nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten“.
Fussnote Kapitel 2.4 "Kritik am Urteil und Empfehlungen für Hersteller": [4] Zum Umfang der Berücksichtigung von Fehlanwendungen siehe ausführlich Wilrich, Produktsicherheitsgesetz (ProdSG): Hersteller-, Importeur- und Händlerpflichten (2012). [5] OLG Frankfurt, Urteil v. 21.05.2015 (Az. 6 U 64/14). [6] So Nr. 6.3.5.2 der EN ISO 12100: 2010 Sicherheit von Maschinen – Allgemeine Gestaltungsleitsätze – Risikobeurteilung und Risikominderung. [7] EN ISO 13850:2016-05 Sicherheit von Maschinen – Not-Halt-Funktion – Gestaltungsleitsätze. [8] Zum Umfang der Berücksichtigung von Fehlanwendungen siehe ausführlich Wilrich, Produktsicherheitsgesetz (ProdSG): Hersteller-, Importeur- und Händlerpflichten (2012). [9] OLG Frankfurt, Urteil v. 21.05.2015 (Az. 6 U 64/14). [10] So Nr. 6.3.5.2 der EN ISO 12100: 2010 Sicherheit von Maschinen – Allgemeine Gestaltungsleitsätze – Risikobeurteilung und Risikominderung. [11] Siehe hierzu Wilrich/Frick: Haften Konstrukteure für Konstruktionsfehler persönlich? – abzurufen unter www.ibf-solutions.com/fachbeitraege/. [12] Siehe ausführlich – auch zum Gerichtsurteil – Wilrich, Bestandsschutz oder Nachrüstpflicht? Betreiberverantwortung und Sicherheit bei Altanlagen mit 25 Gerichtsurteilen (2018).
Der Kläger akzeptierte die Klageabweisung nicht und ging in Berufung zum OLG Hamm[13]. Dort sah man die Sache anscheinend etwas anders als im berichteten erstinstanzlichen Urteil – und einige der angeführten Kritikpunkte kamen womöglich zur Sprache. Es wurde ein Sachverständigengutachten zur Maschine erstellt, was wir aber nur aus dem Urteil des LAG Rheinland-Pfalz im Rahmen der Klage gegen den Arbeitgeber wissen (siehe Klage gegen die Arbeitgeberin). Am 31. Juli 2012 schlossen die Parteien einen gerichtlich protokollierten Vergleich. Die Herstellerin verpflichtete sich, dem verletzten Arbeitnehmer ohne Anerkennung einer Rechtspflicht € 25.000,00 zur Abgeltung sämtlicher gegen sie gerichteter Ansprüche aus dem Unfall zu zahlen.
Fussnote Kapitel 2.5 "Berufung des Klägers und Vergleich mit der Maschinenherstellerin": [13] Az. 21 U 74/10.
Der Produktionsmitarbeiter A klagte im Anschluss an sein Verfahren gegen den Maschinenhersteller erfolglos gegen die Betreiberin auf Schadensersatz[14]. Der Anspruch scheiterte am sog. Haftungsprivileg gemäß SGB VII.
Auszug aus dem 7. Sozialgesetzbuch über die Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) § 104 Abs. 1 regelt die Haftungsfreistellung nach Versicherungsfällen und lautet: „Unternehmer sind den Versicherten, die für ihre Unternehmen tätig sind … nach anderen gesetzlichen Vorschriften zum Ersatz des Personenschadens, den ein Versicherungsfall [Arbeitsunfall oder Berufskrankheit] verursacht hat, nur verpflichtet, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich … herbeigeführt haben.
Zunächst sagte das Landesarbeitsgericht allgemein: „Der Vorsatz des Schädigers muss nicht nur die Verletzungshandlung, sondern auch den konkreten Verletzungserfolg umfassen. Dementsprechend genügt hierfür auch die ggf. vorsätzliche Missachtung von Unfallverhütungsvorschriften, auf die der Unfall zurückzuführen ist, nicht; dies führt zwar zur bewussten Fahrlässigkeit, rechtfertigt aber nicht die Annahme bedingten Vorsatzes“. Zum konkreten Fall schlussfolgert das Gericht: „Selbst wenn man zugunsten des Klägers unterstellt, dass die Beklagte Sicherheitsmaßnahmen nicht beachtet und gegen Unfallverhütungsvorschriften verstoßen hat, die von der zuständigen Berufsgenossenschaft und dem Sachverständigen festgestellt worden sind, den das OLG Hamm im Rechtsstreit gegen den Hersteller der Maschine beauftragt hatte, kann daraus nicht geschlossen werden, dass der Arbeitsunfall von der Arbeitgeberin gewollt und für den Fall seines Eintritts gebilligt worden wäre. Es ist deshalb im vorliegenden Rechtsstreit unerheblich, ob die Produktionsanlage fehlerhaft programmiert und nicht entsprechend den Herstellerangaben aufgestellt worden ist. Es kann auch dahinstehen[15], ob Sicherheitsvorrichtungen, beispielsweise Gitter, nicht, wie vom Hersteller vorgesehen, eingebaut worden sind und keine Betriebsanleitung griffbereit war. Selbst bei vorsätzlicher Missachtung von Sicherheitsmaßnahmen oder von Unfallvorschriften führte die Arbeitgeberin weder den Unfall noch die konkreten Unfallfolgen vorsätzlich herbei. Allenfalls könnte ihr – unterstellt man den Vortrag des Klägers als wahr – ein grob fahrlässiges, nicht aber ein vorsätzliches Herbeiführen des Unfalls vorgeworfen werden“.
Fussnote Kapitel 3 "Klage gegen Arbeitgeberin": [14] LAG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 15.05.2014 – Az. 5 Sa 72/14. [15] Wenn ein Gericht etwas „dahinstehen“ lässt, hält es das für unerheblich, prüft es also nicht detailliert.
Verfasst am: 25.03.2019
Prof. Dr. Thomas Wilrich Tätig rund um die Themen Produktsicherheit, Produkthaftung, Arbeitsschutz und Warenvertrieb einschließlich der entsprechenden Betriebsorganisation, Vertragsgestaltung, Schadensersatz- und Führungskräftehaftung, Versicherungsfragen und Strafverteidigung. Er ist an der Fakultät Wirtschaftsingenieurwesen der Hochschule München zuständig für Wirtschafts-, Arbeits-, Technik- und Unternehmensorganisationsrecht sowie „Recht für Ingenieure“.
E-Mail: info@rechtsanwalt-wilrich.de | www.rechtsanwalt-wilrich.de
Johannes Windeler-Frick, MSc ETH Mitglied der Geschäftsleitung von IBF. Fachreferent CE-Kennzeichnung und Safexpert. Vorträge, Podcasts und Publikationen zu unterschiedlichen CE-Themen, insbesondere CE-Organisation und effizientes CE-Management. Leitung der Weiterentwicklung des Softwaresystems Safexpert. Studium der Elektrotechnik an der ETH Zürich (MSc) im Schwerpunkt Energietechnik sowie Vertiefung im Bereich von Werkzeugmaschinen.
E-Mail: johannes.windeler-frick@ibf-solutions.com | www.ibf-solutions.com
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