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Die Manipulation von Schutzeinrichtungen an Maschinen stellt ein ernstzunehmendes Sicherheitsrisiko dar. Nach Erhebungen der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV, siehe Abschnitt 3.3, Manipulationsgeschehen) werden in Deutschland im Durchschnitt rund 27 % aller Maschinen ständig oder vorübergehend manipuliert. Die Folgen sind gravierend: bis zu 10.000 Arbeitsunfälle pro Jahr, darunter auch tödliche. Für Maschinenhersteller ergibt sich daraus eine klare Verantwortung – denn viele Manipulationen sind auf konstruktive Mängel oder eine unzureichende Berücksichtigung der betrieblichen Arbeitsabläufe zurückzuführen.
Unter Manipulation versteht man das Umgehen oder Ausschalten von Schutzeinrichtungen, um die Maschine in einer vom Hersteller nicht vorgesehenen Weise oder ganz ohne Schutzeinrichtungen zu betreiben. Dafür gibt es eine Vielzahl an Ursachen, die man frühzeitig erkennen muss, um Gefährdungen zu vermeiden.
Damit Manipulationen erst gar nicht entstehen, braucht es sowohl verantwortungsbewusste Betreiber als auch Hersteller, die mögliche Anreize zur Umgehung der Schutzsysteme von Anfang an berücksichtigen. Dieser Beitrag richtet sich vor allem an Maschinenhersteller und zeigt Ursachen, typische Manipulationsanreize und wirksame Gegenmaßnahmen.
Die Anforderungen an Hersteller ergeben sich aus der Maschinenrichtlinie 2006/42/EG sowie der neuen Maschinenverordnung (EU) 2023/1230 (MVO) und werden durch Normen weiter konkretisiert.
Artikel 10 der MVO beschreibt die zentralen Herstellerpflichten. In Absatz 1 wird festgelegt, dass Maschinen so konstruiert sein müssen, dass sie sicher sind – einschließlich der Berücksichtigung vorhersehbarer Fehlanwendungen. Die grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen sind in Anhang III der Verordnung detailliert aufgeführt. Dort schreibt der Gesetzgeber unter anderem vor:
Die Maschinenverordnung (EU) 2023/1230 greift auch das Thema Produktbeobachtung auf und stellt klare Anforderungen an Maschinenhersteller. Ziel ist es, die Sicherheit über den gesamten Lebenszyklus der Maschine zu gewährleisten und Manipulationsrisiken frühzeitig zu erkennen. Dies bedeutet, dass Hersteller auch auf Hinweise zur Manipulation ihrer Schutzsysteme reagieren müssen. Wenn beispielsweise bekannt wird, dass bestimmte Schutzeinrichtungen regelmäßig umgangen oder deaktiviert werden, sind Hersteller dazu verpflichtet, Ursachen zu analysieren und gegebenenfalls technische oder organisatorische Maßnahmen zu ergreifen. Die Produktbeobachtung wird somit zu einem zentralen Instrument, um Manipulationsanreize frühzeitig zu erkennen und die Sicherheit von Maschinen über ihren gesamten Lebenszyklus hinweg zu gewährleisten.
Seminarhinweis
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Häufige Auslöser für Manipulation sind menschliche und organisatorische Ursachen wie Zeit- und Produktionsdruck, unzureichende Schulungen oder fehlende Sicherheitsstrukturen. Fehlende Konsequenzen geben einen weiteren Anreiz, worauf Hersteller von Maschinen jedoch nur bedingt Einfluss haben. Anders gestaltet sich dieser jedoch in Bezug auf technische Ursachen.
Technische Ursachen können sein:
Werden die Ursachen nicht berücksichtigt, steigt die Gefahr von Manipulationen. Häufig liegen diese Gründe im menschlichen Verhalten. Komfort, der Wunsch nach höherer Effizienz oder fehlende technische Alternativen sind typische Beispiele für Anreize zur Manipulation.
Maßnahmen zur Vermeidung von Manipulation
Wirksame Maßnahmen kombinieren organisatorische und konstruktive Ansätze. Ziel ist es, Manipulationsanreize zu minimieren und gleichzeitig Bedienbarkeit und Funktionalität der Maschine zu erhalten.
Organisatorische Maßnahmen
Das Servicepersonal des Herstellers trägt eine besondere Verantwortung. Maschinen dürfen weder während der Inbetriebnahme noch bei Wartungsarbeiten unter den Augen des Betreibers manipuliert werden. Ein solches Verhalten könnte den Eindruck erwecken, dass Manipulation in bestimmten Situationen unvermeidbar ist
Darüber hinaus muss das Servicepersonal Manipulationen erkennen und dem Betreiber melden. Die gesammelten Informationen sollten an die Konstruktionsabteilung weitergegeben werden, damit diese Erkenntnisse in die zukünftige Konstruktion einfließen können. Ein strukturierter Informationsaustausch zwischen den Abteilungen des Herstellers und des Betreibers sorgt für Transparenz.
Manipulationen entstehen oft auch deshalb, weil sichere Handhabungs- oder Betriebsweisen nicht bekannt sind. Schulungen und verständliche Benutzerinformationen sind daher wichtige Maßnahmen, um einen sicheren Betrieb der Maschine zu gewährleisten.
Produktspezifische Maßnahmen
Manipulation verhindern Den größten Einfluss haben Maßnahmen, die direkt am Produkt ansetzen. Werden mögliche Manipulationsanreize bereits im Sicherheitskonzept berücksichtigt und die Konstruktion entsprechend gestaltet, lässt sich das Risiko deutlich senken. Idealerweise wird die Möglichkeit zur Manipulation von Anfang an ausgeschlossen. Ist das nicht realisierbar, sollten zumindest Maßnahmen getroffen werden, die Manipulation erschweren und deren Erkennung ermöglichen.
Manipulation erschweren Manipulationen lassen sich selbst bei geringem Anreiz nicht vollständig ausschließen. Daher sollten Schutzeinrichtungen so konstruiert sein, dass eine Manipulation nur mit erheblichem zeitlichem oder materiellem Aufwand möglich ist. Normen bieten hierbei wertvolle Unterstützung: So beschreibt die Norm EN ISO 14119:2025 in Kapitel 8 konkrete Maßnahmen, um Manipulationen bei verriegelten, trennenden Schutzeinrichtungen zu erschweren. Ein weiteres Beispiel ist die EN ISO 13849-1:2023, die sich in Kapitel 5 mit der Minimierung von Anreizen zur Umgehung von Sicherheitsfunktionen auseinandersetzt.
Manipulation erkennen Je nach Sicherheitsfunktion kann es sinnvoll sein, deren korrekte Funktion und die zum Prozessablauf passende Stellung zu überwachen. Dies lässt sich über die Steuerung realisieren. Auch die Maschinenverordnung (MVO) stellt hierzu klare Anforderungen, beispielsweise in Anhang III, Abschnitt 1.4.2 „Besondere Anforderungen an trennende Schutzeinrichtungen“. So dürfen trennende Schutzeinrichtungen nach dem Lösen nicht in ihrer Schutzstellung verbleiben.
Betriebsanleitung Die Betriebsanleitung ist ein zentraler Baustein für den sicheren Betrieb von Maschinen. Alle relevanten Inhalte müssen leicht auffindbar, klar verständlich und so formuliert sein, dass sie die sichere Nutzung der Maschine in allen Lebensphasen beschreiben. Dazu gehört auch die korrekte Anwendung der vorgesehenen Schutzmaßnahmen.
Für Maschinenhersteller ist die Risikobeurteilung das wichtigste Werkzeug, um Manipulationsrisiken frühzeitig zu erkennen und somit zu minimieren. Bereits in der ersten Entwicklungsphase muss das Schutzkonzept gegen mögliche Manipulationen fester Bestandteil der Konstruktion sein. Nachträgliche Anpassungen oder Nachrüstungen sind nicht nur ineffizient, sondern können erhebliche Risiken bergen
Eine gute Abstimmung mit dem späteren Betreiber hilft, die echten Arbeitsabläufe zu verstehen und realistische Anforderungen zu definieren. Fehlen diese Informationen oder sind sie unvollständig, muss der Hersteller relevante Tätigkeiten selbst ermitteln und berücksichtigen.
Nach der Entwicklung des Schutzkonzepts gilt es zu prüfen, ob die vorgesehenen Schutzeinrichtungen potenziell Manipulationsanreize bieten. Solche Hinweise dürfen nicht ignoriert werden – sie sind wertvolle Ansatzpunkte zur Optimierung der Konstruktion. Ziel ist es, durch technische und ergonomische Verbesserungen die Motivation zur Umgehung von Sicherheitsvorkehrungen zu reduzieren.
Ergonomie spielt dabei eine wichtige Rolle: Eine benutzerfreundliche Gestaltung erhöht die Akzeptanz von Sicherheitsfunktionen und senkt die Wahrscheinlichkeit von Manipulationen. Zusätzlich müssen sichere und praktikable Möglichkeiten vorgesehen werden, um vorhersehbare Fehler zu erkennen und zu beheben – ein weiterer zentraler Bestandteil einer wirksamen Risikobeurteilung.
Damit wird die Risikobeurteilung zu mehr als einer gesetzlichen Pflicht – sie ist ein Instrument zur Qualitätssicherung, zur Haftungsreduzierung und zur Erhöhung der Sicherheit.
Funktionale Sicherheit - Auslegung sicherer Steuerungen nach EN ISO 13849-1 und -2
In diesem 2-tägigen Seminar erhalten Sie fundierte Kenntnisse über die sicherheitstechnische Gestaltung von Steuerungen bei Neubauten und bei Umbauten (wesentlichen Veränderungen) von Maschinen und Anlagen.
Mit der DGUV Information 209-092 (Risikobeurteilung von Maschinen und Anlagen - Maßnahmen gegen Manipulation von Schutzeinrichtungen) wurde ein hilfreiches Dokument veröffentlicht, das sich mit dem Thema beschäftigt. Vor allem die in Anhang 2 aufgeführte Checkliste kann durch praktische Hilfestellung unterstützen.
Auch das IFA (Institut für Arbeitsschutz der DGUV) bietet wertvolle Informationen und Praxishilfen (IFA - Praktische Hilfen: Manipulation von Schutzeinrichtungen verhindern). Darüber hinaus hat das Institut eine Webanwendung zur Bestimmung des Manipulationsanreizes von Schutzeinrichtungen an Maschinen entwickelt.
Außerdem stellt der Arbeitskreis „Manipulation“ (der sogenannte Mannheimer Verein zur internationalen Förderung der Maschinen- und Systemsicherheit e.V.) zahlreiche Informationen wie Schulungsmaterial und konkrete Praxisbeispiele online zur Verfügung. Das IFA und einige Berufsgenossenschaften sind Teil dieses Arbeitskreises.
Fazit
Manipulation von Schutzeinrichtungen ist und bleibt ein ernstes Thema. Hersteller können jedoch viel dazu beitragen, Manipulationsrisiken zu erkennen und zu verringern. Entscheidend sind eine durchdachte Konstruktion, eine frühzeitige und sorgfältige Risikobeurteilung sowie ein transparenter Austausch zwischen allen Beteiligten.
Technische Lösungen, ergonomische Verbesserungen und praxisnahe Schulungen schaffen die Basis für sichere Maschinen. Wer Manipulationsanreize konsequent minimiert, schützt nicht nur Menschenleben, sondern steigert auch die Qualität und Zuverlässigkeit seiner Produkte.
Verfasst am: 13.11.2025
Mehrjährige Erfahrung als CE-Koordinator und technischer Redakteur im Bereich Lebensmittelmaschinen. Zuständig für die Koordination des Konformitätsbewertungsverfahrens von Maschinen, Gesamtheiten von Maschinen und Anlagen. Leitung von Risiko- und Hygienebeurteilungen. Ansprechpartner für Material-Compliance und technische Dokumentation in einem internationalen Unternehmen.
E-Mail: robert.boenisch@ibf-solutions.com
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